Wandel kommt nicht von oben, sondern von unten – Transition Towns

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Wandel kommt nicht von oben, sondern von unten – Transition Towns

Wir brauchen einen Wandel in der Gesellschaft. Diesen Satz hat man so oder so ähnlich schon oft gehört. Aber damit ist immer auch ein Hauch von Passivität verbunden. Etwas wird gewandelt, es wird ein Wandel gefordert. Aber wer soll diesen Wandel herbeiführen? Warten wir darauf, dass uns Politiker sagen, wo es langgeht? Setzen wir unsere Hoffnungen in Firmen, die den Wandel durch neue Technologien bringen? Ich fürchte, da können wir lange warten. Echter Wandel wird nicht von oben vorgegeben, er kommt von unten als Graswurzelbewegung.

Reform von oben, Revolution von unten?

Um das gleich vorweg klar zu stellen: Ich fordere keine Revolution im Sinne des Wegfegens aller alten Strukturen und Konzepte. Was wir brauchen ist eine Revolution in unser aller Denken und Verhalten. Während Politiker Reformen von oben anstoßen und durch neue Gesetze den Wandel lenken können, kann echter Wandel auch von der Bevölkerung ausgehen. Und nochmal ganz deutlich: das hat nichts mit den Schreihälsen zu tun, die heutzutage vermehrt durch die Innenstädte ziehen und abwechselnd gegen Corona-Maßnahmen, Impfungen, den Staat oder Bill Gates demonstrieren!

Echter Wandel kann und muss bei jedem von uns beginnen. Denn wenn wir darauf warten, dass andere das für uns übernehmen oder uns sagen, wo es langgehen soll, dann verlieren wir wertvolle Zeit.  Ganz im Sinne der Transition Bewegung lautet das Motto Einfach. Jetzt. Machen statt auf optimale Bedingungen zu warten. Denn die kommen wahrscheinlich nie.

Transition Towns für den Wandel

Die Transition Idee wurde Mitte der 2000er Jahre in England geboren. Urheber ist der britische Dozent und Umweltaktivist Rob Hopkins. Im Grundsatz ging es bei der Geburt der Transition-Bewegung darum, die beiden damaligen gesellschaftlichen Hauptprobleme Peak Oil und den Klimawandel gleichzeitig zu bekämpfen.

Peak Oil, also das Erreichen des weltweiten Öl-Fördermaximums ist mittlerweile in den Hintergrund gerückt. Durch die Förderung von Fracking-Öl werden die Märkte mit billigem Öl überflutet und die Preise sind stark gesunken. Die durch die Coronakrise strauchelnde Weltwirtschaft erzeugt zudem eine geringere Nachfrage, so dass eine Ölknappheit – aus Klimasicht möchte man fast sagen: leider – nicht absehbar ist.

Im gleichen Zuge hat der Klimawandel dagegen rasant an Fahrt zugenommen und Ausmaße erreicht, die man sich noch vor wenigen Jahren nicht denken konnte. Daher ist die Transition-Idee auch nach wie vor hochaktuell, da sie sich auch diesem entgegenstemmt.

Wandel hin zu lokaler Resilienz

Der Kerngedanke der Transition, also des Wandels, ist eine Stärkung der lokalen Strukturen bei gleichzeitiger Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen. So sollen gleichzeitig lokale Wirtschaftskreisläufe geschaffen und gefördert werden und alternative Ernährungs- und Energiekonzepte genutzt werden.

Am Beispiel von Studien zu großen Supermärkten weist Hopkins dabei nach, dass an Orten, in denen sich große Ketten neu ansiedeln als direkte Folge die kleinen Läden auszusterben beginnen. Wer dieser Tage durch die Fußgängerzone einer beliebigen deutschen Kleinstadt läuft, sieht genau, was damit gemeint ist. Alle Vorhersagen bezüglich Ladensterbens sind also schon wenige Jahre nach Erscheinen der ersten Bücher zur Transition-Idee wahr geworden.

Ein schöner Nebeneffekt: durch gezielte Förderung lokaler, kleiner Geschäfte, die wiederum auf lokale Zulieferer setzen, bleiben die Steuern im Ort. Mit diesem Geld können dann wiederum Projekte für die lokale Bevölkerung umgesetzt werden.

Komplementärwährungen als Anreiz vor Ort zu kaufen

Eine Komplementärwährung ist ein nur lokal akzeptiertes Zahlungsmittel, das parallel zur offiziellen Währung existiert. Dies kann in Form von Geldscheinen passieren (die natürlich keine Ähnlichkeit zu irgendeiner offiziellen Währung haben dürfen) oder auch als Gutscheine.

Dieses Geld, oder besser Tauschmittel wird zentral vergeben, indem die Bürger echtes Geld gegen diese nur lokal gültige Währung tauschen. Um einen Anreiz dafür zu schaffen, erhält man oftmals einen Aufschlag von 10 Prozent in Komplementärwährung. Das heißt, wenn man 10 Euro eintauscht, erhält man 11 Einheiten der Komplementärwährung zurück.

Worin liegt hier jetzt der Vorteil? Ganz einfach: während man mit der offiziellen Landeswährung überall einkaufen kann, also auch weltweit im Internet, ist die Komplementärwährung nur auf die lokale Wirtschaft begrenzt. Diese muss natürlich die zusätzliche Währung als Tauschmittel auch akzeptieren. Da sie aber massiv davon profitiert, ist das meistens eher kein Problem. Es ist somit sichergestellt, dass das Geld im lokalen Wirtschaftskreislauf bleibt. Das hilft enorm dabei, dass die Menschen wieder vor Ort einkaufen. Die Läden bleiben offen, die Gewerbesteuer bleibt vor Ort.

Utopia oder Wolkenkuckucksheim?

An dieser Stelle gebe ich zu: mir sind erstmal viele Gründe eingefallen, warum das nicht funktionieren kann. Von dieser Denkweise versuche ich mich aber frei zu machen. Vielmehr sollte man solche Themen mit der Fragestellung angehen „Was kann man tun, damit das auch bei uns funktioniert?“. Dann denkt man sofort ganz anders darüber nach.

Schön ist immer, wenn man das Rad gar nicht erfinden muss, sondern er schon Leute vor einem getan haben. Daher verweise ich an dieser Stelle gerne beispielhaft auf Projekte und Orte, die schon seit vielen Jahren mit Komplementärwährungen arbeiten – und das mit großem Erfolg:

–          Bielefeld, der Bethel der Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel, seit 1908

–          Bremen, der ROLAND, seit 2001

–          Leipzig, der Lindentaler

–          Region Chiemgau, der Chiemgauer

Aber das sind nur Beispiele. Für den Dt. Bundestag wurden 2018 in einem Gutachten alle Regionalwährungen auf einer Karte dargestellt:

komplementärwährungen deutschland
Quelle: bundestag.de

Rechtliche Situation für Komplementärwährungen

Ihr seht also, dass es bundesweit schon solche Komplementärwährungen im Einsatz gibt. Zur rechtlichen Situation gibt es im o.g. Gutachten für den Bundestag folgende Aussage:

„Komplementäre Gutscheinwährungen stehen formal in Konflikt mit dem Bundesbankgesetz. Seit 2001 werden Regionalgelder auf Gutscheinbasis von der Bundesbank jedoch geduldet, da sie bislang volkswirtschaftlich keinen nennenswerten Umfang annehmen.

Die Staatsanwaltschaft Waldshut-Tiengen hat 2007 die Ausgabe von Regionalgeld-Gutscheinen als nicht strafbar eingeschätzt. Gemäß § 35 Bundesbankgesetz ([BBANKG]) wird mit Freiheits- oder Geld-strafe bestraft, „wer unbefugt Geldzeichen (Marken, Münzen, Scheine oder andere Urkunden, die geeignet sind, im Zahlungsverkehr an Stelle der gesetzlich zugelassenen Münzen oder Banknoten verwendet zu werden) […] ausgibt“ oder „zu Zahlungen verwendet“, auch wenn ihre Wertbezeichnung nicht auf Euro lautet.

Im Mai 2007 hat die Deutsche Bundesbank dazu festgestellt: „Aufgrund des geringen Umlaufs an Regionalgeldern im Vergleich zu den von der Deutschen Bundesbank in Umlauf gegebenen Euro-Banknoten sind die damit verbundenen gesamtwirtschaftlichen Kosten als so gering einzuschätzen, dass sie vernachlässigt werden können.

Auch die Inflationsbekämpfung ist aufgrund der vergleichsweise geringen Nutzung solcher Gelder zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht erschwert. Eine Gefahr für die stabilitäts-orientierte Geldpolitik des Eurosystems und damit eine Beeinträchtigung des Euro als Währung besteht derzeit nicht.“

Man befindet sich also mit regionalen Komplementärwährungen in einer von den höchsten Instanzen tolerierten Grauzone. Mutige Gemeinschaften werden diese Grauzone für sich zu nutzen wissen, ängstliche werden sie als Argument heranziehen, dass man es lieber gar nicht erst versuchen sollte.

Alte Ideen, neue Technologien für den Wandel

Die oben geschilderten Beispiele sind nicht neu. Der Ölknappheit mit erneuerbaren Energien zu begegnen, liegt – aus heutiger Sicht – auf der Hand. Man schlägt gleich zwei Fliegen mit einem Streich. Sowohl der Ölknappheit als auch der Klimakrise wird entgegengewirkt.

Auch die Komplementärwährungen sind kein neuer Gedanke. Wie ihr oben sehen könnt, gibt es eine der ältesten Komplementärwährung bereits seit über 100 Jahren. Mal nebenbei: sie hat zwei Weltkriege, eine Hyperinflation und zwei Währungsreformen unbeschadet überstanden.

Progressives Denken bedeutet aber, alte Ansätze mit neuen Technologien zu verbinden. Spontan fällt mir dabei z.B. eine Komplementärwährung ein, die auf der Blockchain basiert und mit der man bequem per Handy bei den lokalen Geschäften bezahlen kann. Euch fallen vielleicht noch andere Möglichkeiten ein, lasst gerne einen Kommentar da! Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt und Denkverbote gibt es nicht.

Abschließend verlinke ich Euch hier noch zwei tolle Videos, im ersten wird alles zum Thema Regionalgeld, bzw. Komplementärwährung erklärt, im zweiten geht es um die Transition-Bewegung. Bleibt neugierig!

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