Die Abkürzung WE Go steht für Wellbeing Economy Governments und bezeichnet eine Allianz verschiedener internationaler Regierungschef*innen. Das Ziel dieses Gremiums ist nichts weniger als ein komplettes Neudenken der Maßstäbe, die wir zur Bewertung einer Volkswirtschaft nutzen.
Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, wir steigern das Bruttosozialprodukt. Dass es eine Wirtschaftsgröße bis in die Popmusik schafft, bleibt wohl ein Phänomen der Neuen Deutschen Welle. Aber während das Bruttosozialprodukt schon etwas länger nicht mehr herangezogen wird, um die Wirtschaftskraft einer Gesellschaft zu bemessen, sieht das beim Bruttoinlandsprodukt anders aus.
Das Bruttoinlandsprodukt dient grundsätzlich als ein Produktionsmaß für ein Land, während das Bruttosozialprodukt auf Einkommensgrößen abzielt, also das durchschnittliche Einkommen (bzw. dessen Veränderung) bewertet. Die aktuell verwendete Größe für die Bewertung einer Volkswirtschaft ist also deren Produktivität.
Hier kommt nun WE Go ins Spiel. Die drei Gründungsmitglieder dieser Initiative, die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon, sowie die Regierungscheffinnen von Island und Neuseeland, Katrín Jakobsdóttir und Jacinda Ardern, wollen eine neue Größe für die Bewertung ihrer Länder etablieren.
Die zugrundeliegende Frage, die die drei Damen sich stellten war: kann man den Erfolg/das Glück/die Zufriedenheit einer Gesellschaft wirklich anhand von Produktivitätskriterien messen? Und bildet die finanzielle Entwicklung wirklich die gesamte Gesellschaft ab?
Denn eine große Schwäche des BIP als Leitlinie politischen Handels beschreibt schon sein Erfinder, der amerikanische Ökonom Simon Kuznets: „Das Wohl einer Nation lässt sich kaum aus der Bemessung des nationalen Einkommens ableiten.“ Er selbst warnte bereits 1934 davor, diese Größe isoliert heranzuziehen. Denn Einkommen sind nun einmal ungleich verteilt. Das ist heute nicht anders als damals, eher noch schlimmer. Der Reichtum wird zwar bemessen, aber nicht wie fair er verteilt ist. Ganz abgesehen davon, dass Studien beweisen, dass ab einem gewissen Jahreseinkommen (ca. 60.000€) mehr Geld kaum glücklicher macht. Stichwort: abnehmender Grenznutzen.
Neuseeland ist sowas wie ein Rockstar der Weltwirtschaft. Die Wirtschaftsleistung und damit das BIP wächst und wächst. So kam es, dass die Regierungschefin Jacinda Ardern im Jahr 2019 zum Weltwirtschaftsforum in Davos eingeladen wurde. Um dort, die versammelte Finanzelite mit ihrem Vortrag vor den Kopf zu stoßen.
Denn anstatt sich für das Wachstum feiern zu lassen und „ihr Geheimnis“ preiszugeben, berichtete sie stattdessen über die hohe Obdachlosenquote in ihrem wirtschaftlich doch so erfolgreichen Land. Wie könne es sein, dass das Land nach außen hin als wirtschaftliches Paradies erscheint, wenn große Teile der Bevölkerung Mangel leiden und daran nicht teilhaben?
So kam es, dass Ardern einen neuen Wert anhand von Indikatoren des Better Life Index der OECD geschaffen hat (ja, der heißt wirklich so, Ähnlichkeiten zu diesem Blog sind reiner Zufall ;)). Diese Faktoren möchte sie nutzen, um sie durch ein geschicktes Lenken der Staatsausgaben positiv zu beeinflussen.
In der Praxis zeigt sich dies am Beispiel der Gesundheitsausgaben. Während dort früher anhand direkter Werte, also z.B. durchgeführter Operationen gemessen wurde, wird dies nun über andere Faktoren gesteuert. Hier ist dies die Armutsquote von Kindern. Denn wachsen Kinder in Armut auf, hat dies gesundheitliche Folgen für den Rest ihres gesamten Lebens.
Das bedeutet: ist die Kinderarmut hoch, werden hohe Folgekosten bei den Gesundheitsausgaben fällig. Um hier gegenzusteuern wird also nicht das Gesundheitsbudget erhöht, sondern die Kinderarmut durch entsprechende staatliche Programme bekämpft. Das Ziel ist, die Ursachen frühzeitig zu bekämpfen und nicht die Folgen.
Es überrascht mich kaum, dass mit Jacinda Ardern, Nicola Sturgeon und Katrín Jakobsdóttir drei Frauen die bisherigen Denkmuster durchbrochen haben. Ich unterstelle einfach mal unbewiesenerweise, dass Frauen mehr ans Gemeinwohl denken und auch mal aus alten Denkmustern ausbrechen, als das bei Männern der Fall ist. Diese hätten sich anstelle von Jacinda Ardern wahrscheinlich eher für die hohen Wachstumsraten beim BIP feiern lassen.
Dennoch ist WE Go keine reine Fraueninitiative mehr. Denn mit Wales und Kanada sind nun auch zwei von Männrn regierte Länder in die Initiative eingetreten (Wales) bzw. haben großes Interesse daran bekundet (Kanada). Eines wird hier wieder sehr deutlich: es braucht eindeutig mehr Frauen in Schlüsselpositionen, die nicht an alten Seilschaften hängen und mutig genug sind, neue Wege zu beschreiten! Dies zeigt sich nicht nur in der Fridays for Future Bewegung, sondern eben auch in der Weltpolitik. Eine Mut machende Entwicklung, die ich Euch nicht vorenthalten wollte.